

Hinweis: Verwendung der Artikel der Nassauischen Neuen Presse mit freundlicher Genehmigung der Frankfurter Societäts-Druckerei.
Von Petra Hackert
« Lass das sein! Tu’s nicht! Das tut doch weh!!» Die Kinder rufen ganz laut zur Bühne hoch. Kurz vorher hatte sich Aschenputtels Stiefschwester doch glatt mit dem Messer die große Zehe abgeschnitten, um in den Schuh zu kommen. Schmerzverzerrtes Gesicht, der Prinz kam, die Tauben gurrten: «Ruckedigu, Blut ist um Schuh», und sie war enttarnt. Jetzt versuchte die andere Schwester das gleiche. Aschenputtels böse Stiefmutter hatte ihr gerade das riesige Messer gegeben. Wenn sie sich die Ferse abschneidet, passt der Schuh, sie kann den Prinzen heiraten und muss doch eh nicht mehr laufen, weil sie überall hin gefahren wird, sagt die Mutter. Die Kinder sind empört.
Beim Märchen der Theatergruppe der Freiwilligen Feuerwehr Oberselters gingen besonders die Zuschauer in den ersten Reihen richtig mit, und das waren die Jungen und Mädchen. Ihnen gebührten bei beiden Aufführungen die vorderen Plätze, und wenn das Theater am Mittwochmorgen ein drittes Mal eigens für die Schulen gegeben wird, dann dürfen sich die jugendlichen Zuschauer auf etwas ganz Besonderes freuen.
Heinz-Josef Schaaf komponierte die Musik
Liebevoll bis ins Detail – das zeichnet seit vielen Jahren die Märchenaufführungen in Oberselters aus. Letztes Jahr gab es keine – zu wenig Schauspieler. Denn das Ganze ist natürlich auch mit viel Arbeit verbunden. Dafür bot das Ensemble unter der Regie von Siegrid Schweitzer und Christina Schaaf diesmal etwas Neues: Die Oberselterser hatten ihre eigene Musik. Heinz-Josef Schaaf hat sie komponiert, saß bei den Aufführungen selbst am Mischpult, spielte die richtigen Melodien und Songs ein, die zwar play-back kamen, aber dennoch selbst gesungen waren. Wer vorne saß, konnte es hören: Aschenputtel war auch in den Liedern sehr textsicher.
Dafür stand Katja Ellinger: Mit der schmutzigen Küchenschürze, braunem Rock und rotem Halstuch wirkte sie schon beim Kehren in der Asche wie aus einem Disney-Film entsprungen. Doch ganz so harmlos sind die Grimm’schen Märchen nicht. Märchen sind, wenn sie richtig erzählt werden, grausam. Die Aschenputtel-Version auf der Bühne sparte die beiden schmerzhaften Szenen nicht aus. Selbst wenn kein Blut floss, wussten die Kleinen, da ist etwas Schlimmes passiert. Und es wurde ganz stark an ihren Gerechtigkeitssinn appelliert: Auch wenn die Stiefschwestern immer gemein waren, diese Strafe war viel zu hart.
Schon vorher waren die Kinder einbezogen, als der Vater (Lothar Gendritzki) von einer Reise zurückkehrte, seine beiden wunderschönen Stieftöchter (herrlich wandelbar: Larissa Welter und Angela Schweitzer) in die Arme schloss und Aschenputtel ausschimpfte: «Spielst Du immer noch so gerne im Dreck, mein Kind?». «Da kann sie doch gar nichts für», raunte ein Junge seiner Nachbarin zu. Klar, sie hatten doch gehört, dass das Mädchen den ganzen Morgen putzen musste, und anschließend schubste die Stiefmutter sie auch noch in die Asche! Monika Sabel spielte ein hundsgemeines Biest, das alles tat, um ihre eigenen Sprösslinge ins rechte Licht zu rücken. Zum Glück halfen die beiden Tauben (Vera Kerth und Laura Steul) immer wieder, wenn die Not am größten war.
Der Ballsaal: Aufwendige Wechsel der Bühnenbilder vom heimischen Kamin hin ins Schloss sorgten zwar für längere Pausen, doch die Kinder warteten immer wieder gespannt auf das nächste Neue. Eine bunte Glitzerwelt tat sich auf, inmitten die Ballgäste und natürlich der Prinz – Frank Weller durfte in dieser schönen Rolle um seine Prinzessin werben, und Eckehard Hindrischedt sorgte für den «Running Gag» des Nachmittags: Die Ansagen des stabklopfenden Zeremonienmeisters, der jeden Auf- und Abgang kommentierte, lösten am Schluss wahre Lachsalven aus.
Natürlich: Aschenputtel und der Prinz wurden ein Paar. Als sich die Darsteller am Schluss ihren verdienten Applaus abholten, war auch klar zu sehen, dass es den «bösen Schwestern» wieder besser ging. Alle konnten also ganz beruhigt nach Hause gehen und von einem wunderschönen Märchennachmittag in Oberselters erzählen. pp
