HADAMAR. Die Fakten sind klar, der Rest ist kompliziert und zeigt das Dilemma von Justiz und Medizin, wenn es um gesetzliche Betreuungen geht ...

In Vitos-Klinik haben Patienten häufiger Feuer gelegt / Gesetzlicher Betreuer sieht Schuld vor allem bei Klinikleitung

Von Sabine Rauch

Am 12. Juni hat Frau B. in Haus 11 der Vitos-Klinik Feuer gelegt – und zwar mit großem Effekt. Sieben Feuerwehren waren im Einsatz, um Schlimmeres zu verhindern. Am Tag darauf hat schon wieder jemand im Neubau der Klinik gezündelt, am 4. Juni hat es ebenfalls auf dem Mönchberg gebrannt. Dafür ist Frau B. aber nicht verantwortlich.

Überhaupt könne Frau B. nicht verantwortlich gemacht werden, sagt Jörg Hoffmann, ihr Betreuer. Weil Frau B. psychisch krank ist, so krank, dass sie seit zwölf Jahren in psychiatrischen Einrichtungen lebt und dass sie einen gesetzlichen Betreuer braucht, der ihre Angelegenheiten regelt und sie vertritt. So krank, dass das Betreuungsgericht am 9. Mai mal wieder entschieden hatte, dass sie nach dem Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (PsychKHG) für knapp zwei Wochen in einer geschlossenen Einrichtung (also zum Beispiel im Haus 11 der Vitos) untergebracht werden muss, weil sie eine Gefahr für sich und andere ist.

Sie raucht nicht, aber sie zündelt

Kurz nach ihrer Entlassung, am 28. Mai zum Beispiel, am Pfingstsonntag. Da hat sie Feuer in ihrer Vitos-Wohngruppe gelegt. Deshalb kam Frau B. wieder einmal ins Haus 11 der Vitos-Klinik für Psychiatrie in Hadamar. Wie sie dort an ein Feuerzeug kommen konnte, könne er sich nicht erklären, sagt Jörg Hoffmann. Das letzte habe man ihr nach dem Feuer in der Wohngruppe abgenommen, „und Frau B. raucht gar nicht“. Aber sie zündelt, und das ist bekannt.

Bei dem Feuer am 12. Juni war der Schaden groß. Zum Glück sei niemand verletzt worden, sagt Jörg Hoffmann, aber es wird teuer. Von 20.000 Euro Sachschaden spricht die Polizei. Die Klinik hat Frau B. angezeigt und den Schaden an die Versicherung gemeldet. Jörg Hoffmann fürchtet, dass Frau B. dafür aufkommen muss, die Versicherung der Klinik habe sich jedenfalls schon bei ihm gemeldet.

Für ihn ist der Schuldige an dem Feuer und den Folgen aber ganz klar: die Klinikleitung.

Sie habe grob fahrlässig gehandelt, weil Frau B. die geschlossene Unterbringung nach Belieben verlassen konnte und so auch noch Zugang zu einem Feuerzeug bekam. „Der zweite Brand hätte verhindert werden können.“ Jetzt soll wenigstens ein weiteres Feuer verhindert werden: Frau B ist nun in der forensischen Psychiatrie in Haina untergebracht, nach Paragraf 126a StPO. Und Jörg Hoffmann atmet erst einmal auf.

Betreuer hat Anzeige gegen die Klinikleitung erstattet

Aber mit der Vitos-Klinik ist er noch lange nicht fertig. Er hat Anzeige erstattet gegen die Klinikleitung – wegen unterlassener Hilfeleistung zum Beispiel und weil die Klinik die Patienten nicht vor Brandstiftern schützt – durch „geeignete Maßnahmen“. Eine hat die Klinik inzwischen eingeführt – nach dem Feuer am 13. Juni. „Nach den aktuellen Vorfällen“ habe Klinikdirektor Prof. Dr. Christoph Fehr entschieden, „dass alle Patienten, die im Neubau der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie untergebracht sind (Haus 11), die Feuerzeuge in den Stationsstützpunkten abgeben müssen und nur für die kurze Phase des Rauchens ausgehändigt bekommen“, teilt Eva Jung, die Sprecherin von Vitos Weil-Lahn mit.

Aber generell gebe es am Handeln der Klinik nichts auszusetzen: „Ein großer Teil der Patienten in der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie ist freiwillig bei uns – Eingriffe wie das generelle Verbot von Feuerzeugen für alle Patienten versuchen wir, so wie viele andere psychiatrische Kliniken, deshalb zu vermeiden.“

Patientin „konnte Station nach Belieben verlassen“

Über den Umgang mit Frau B. im Besonderen will die Klinik natürlich mit Verweis auf die ärztliche Schweigepflicht nichts sagen. Nur so viel: „Mit der Patientin sind während ihres Aufenthaltes in der Vitos-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie mehrfach Arztgespräche geführt worden. Dabei wurde die nötige Sorgfalt an den Tag gelegt und die darauf basierenden Entscheidungen halten wir auch rückblickend für sachgerecht.“ Und überhaupt: Die Patientin sei vollkommen freiwillig zur stationären Behandlung in der Klinik gewesen, „sie konnte die Station somit nach Belieben verlassen“.

Das sieht Jörg Hoffmann ganz anders. Er sagt, die Klinik habe „einen schuldhaften Anteil an dem, was passiert ist, weil sie alle Warnungen ignoriert habe“. Er verweist auf diverse Unterbringungsbeschlüsse und betont, dass die Klinik nicht zum ersten Mal einen richterlichen Beschluss ignoriere.

Überhaupt sei die Zusammenarbeit zwischen Klinik und Betreuern schwierig. „Man lässt uns im Regen stehen“, übernehme keine Verantwortung. Die Ärzte entließen seine Betreute einfach, ohne ihn auch nur in Kenntnis zu setzen, sie stellten die Medikation um, ohne Bescheid zu sagen, obwohl das Gericht ihm die Gesundheitssorge übertragen habe. Nicht einmal auf nachdrückliche Aufforderung hin, schicke ihm die Klinik Entlassungsberichte oder Arztbriefe.

Medikamentenumstellung: mehrfach geflohen

Dabei können ärztliche Entscheidungen fatale Folgen haben, wie zum Beispiel eine Medikamenten-Umstellung im Februar 2021. Da sei Frau B. nach einer Umstellung von einem Medikament mit Depotwirkung auf eines, das regelmäßig eingenommen werden muss, aus der Klinik geflüchtet; mit Polizei und Hundestaffel habe man nach ihr suchen müssen, in Wiesbaden sei sie dann aufgegriffen und in eine Unterkunft der Heilsarmee gebracht worden. Allerdings habe man sie dort nicht aufnehmen wollen, weil sie als Brandstifterin bekannt war, sagt Jörg Hoffmann. Sie kam zurück nach Hadamar, bekam wieder ein Medikament mit Depot-Wirkung. Zwei Jahre sei es Frau B. eigentlich ganz gut gegangen – bis die Ärzte ihr wieder andere Medikamente verordneten. Frau B. floh wieder, kam wieder zurück, wurde wieder „auf eigenen Wunsch“ in die Wohngruppe entlassen, floh wieder, kam wieder zurück. Und dann die beiden Feuer.

Er habe immer wieder versucht, einen runden Tisch zu initiieren, um eine Eskalation zu vermeiden, sagt Jörg Hoffmann. Die Klinik habe das nicht für nötig befunden. „Die Oberärzte sind nicht bereit, Kontakt mit den Betreuern aufzunehmen.“ Die Klinik sagt: „Grundsätzlich ist es der Klinik sehr wichtig, sich mit den gesetzlichen Betreuern abzustimmen.“ Leider könne es aus Zeitgründen passieren, dass die Ärzte und Psychotherapeuten nicht jedem Gesprächswunsch immer sofort nachkommen könnten. „In diesem konkreten Fall haben aber sowohl das Wohnheim als auch der diensthabende Arzt am Aufnahmetag und am Brandtag mit Herrn Hoffmann telefoniert.“ Jörg Hoffmann hätte sich häufiger ein Gespräch gewünscht.

RECHT AUF SELBSTBESTIMMUNG GESTÄRKT

Natürlich ist die Sache nicht immer einfach, wenn jemand eine gesetzliche Betreuung braucht: Michael Meier, der Chef des Amtsgerichts Limburg, und damit auch Chef des Betreuungsgerichts, spricht von einem klassischen Dilemma, wenn es um psychiatrische Behandlungen geht. „Wir als Juristen gehen von der Autonomie des Menschen aus“, und Ärzte seien durch den Wunsch des Heilens motiviert, hätten die Aufgabe, Leben zu schützen, Krankheiten zu behandeln. Und wenn sie der Überzeugung sind, dass der Patient „einwilligungsfähig“ ist, dann müssen sie seinem Wunsch stattgeben – es sei denn, es gibt einen richterlichen Beschluss, der den Patienten in seiner Freiheit einschränkt. „Eine rechtliche Betreuung bedeutet nicht, dass der Betreute entmündigt ist“, sagt Richter Michael Meier. So lange es keinen Einwilligungsvorbehalt gibt, der regelt, dass die betreute Person zur Rechtswirksamkeit einer Willenserklärung die Einwilligung des Betreuers braucht, gilt der Wunsch des Betreuten. Und dieses Recht auf Selbstbestimmung ist mit der Novelle des Betreuungsrechts zum 1. Januar 2023 noch einmal gestärkt worden.

Wenn also der Arzt den Eindruck hat, dass der Patient bei klarem Verstand ist und sein Einverständnis zu einer Behandlung gibt – oder eben nicht – dann gilt das. Auch wenn der Betreuer vielleicht etwas anderes will. Allerdings müsse der Arzt die Aufklärungsgespräche immer dokumentieren, den Betreuer auf Aufforderung informieren. Und: „Es wäre im Interesse einer fairen und einvernehmlichen Zusammenarbeit, wenn der Arzt den Betreuer einbeziehen würde“, sagt Michael Meier. Pflicht sei das aber nicht. (sbr)

Verwendung der Artikel der Nassauischen Neuen Presse mit freundlicher Genehmigung der Frankfurter Societäts-Druckerei.Hinweis: Verwendung der Artikel mit freundlicher Genehmigung der Nassauischen Neuen Presse.

 

 


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