
Hinweis: Verwendung der Artikel der Nassauischen Neuen Presse mit freundlicher Genehmigung der Frankfurter Societäts-Druckerei.
Immer mehr Einsätze für die Notfallseelsorge bei Unfällen
Von Sabine Rauch
Mit dem Namen ist er nicht so glücklich, sagt Alois Heun. «Notfallseelsorge» sei doch ziemlich missverständlich. «Wir müssen oft erst einmal erklären, dass wir keine Pfarrer sind.» Die Mitarbeiter der Notfallseelsorge seien ganz normale Menschen – aber welche, die sich um Mitmenschen in Seelen-Not sorgen. Ihnen helfen wollen, zu begreifen, was passiert ist. Ihnen helfen wollen, mit dem Verlust eines Kindes oder Partners klarzukommen. «Ein Einsatz ist gut gelaufen, wenn am Ende die ganze Familie zusammensitzt und wir wissen: Es läuft auch ohne uns», sagt Alois Heun.
143 Mal sind die Mitarbeiter der Notfallseelsorge im vergangenen Jahr rausgefahren. Das waren deutlich mehr Einsätze als in den Jahren zuvor. 2008 waren es 99 Einsätze, im Jahr davor 98. «Feuerwehr, Polizei und Notarzt haben uns einfach mehr im Hinterkopf», sagt Alois Heun. Früher sei die Notfallseelsorge gerufen worden, «wenn gar nichts mehr ging», schließlich müssten Feuerwehr, Notarzt und Polizei auch ihre Arbeit machen, da sei eben nicht viel Zeit, sich um die Angehörigen zu kümmern.
Trost spenden
«Heute rufen die Retter uns, wenn sie sehen, dass Hilfe notwendig ist.» Die ist zum Beispiel nötig, wenn ein Partner nach langer Krankheit oder auch ganz überraschend stirbt. «Tod im häuslichen Bereich» heißt das in der Statistik der Notfallseelsorge – und macht mit 32 Fällen den Großteil der Einsätze 2009 aus. Außerdem fahren die Mitarbeiter los, um Todesnachrichten zu überbringen (19 Mal im vergangenen Jahr), sie trösten Angehörige von Selbstmördern (14 Mal) oder die Hinterbliebenen von Unfallopfern (zwei Mal).
Der größte Einsatz war der nach dem tödlichen Verkehrsunfall bei Bad Camberg, vier Jugendliche waren im Mai in einer Freistunde tödlich verunglückt. Die Notfallseelsorger kümmerten sich um die Eltern, und brachten den Vater eines Jungen vom Büro nach Hause. Zu zehnt seien sie damals im Einsatz gewesen, sagt Heun, sonst sind er und seine Kollegen zu zweit unterwegs. Dieser Einsatz war auch nicht mit einem Besuch beendet – die Notfallseelsorger sind mehrmals zu den Familien gefahren – auch, als die Leichname der vier Jungen in der Leichenhalle aufgebahrt waren. «Das haben wir vereinbart», sagt Heun.
Überhaupt sei das Abschiednehmen am offenen Sarg das A und O beim Trauern. «Es ist wichtig, den Leichnam noch einmal anzuschauen oder besser noch anzufassen, um den Tod begreifen zu können», sagt Alois Heun.
Selbst Betroffener
Er weiß, wovon er redet. «Ich kann in den meisten Fällen sagen, dass ich das, was ich bei den Angehörigen sehe, selbst erlebt habe.» Alois Heun kam über die Notfallseelsorge zur Notfallseelsorge. Im Jahr 2000 hatte sein Sohn einen tödlichen Unfall, am Ortseingang von Hintermeilingen. Alois Heun raste zum Unfallort, die Notfallseelsorger kümmerten sich um seine Frau. Die war damals schwer krank, im Jahr 2002 starb auch sie. Seit 2004 ist Alois Heun aktives Mitglieder der Notfallseelsorge.
«Man muss erst mit sich selbst im Reinen sein.» Am Anfang sei er nur zu den Gesprächsabenden gegangen, das ist der Abend, an dem die Notfallseelsorger von ihren Erlebnissen bei Einsätzen berichten oder Vorträge anhören. Dann machte er eine Ausbildung. Die Notfallseelsorger lernen zum Beispiel etwas über Gesprächsführung, aktives Zuhören oder darüber, wie sie mit trauernden oder traumatisierten Menschen umgehen sollten. Eine gute Ausbildung sei wichtig, sagt Alois Heun. «Je mehr ich weiß, umso weniger kann mich ein Einsatz belasten.»
Ansonsten sei bei einem Einsatz vor allem Einfühlungsvermögen gefragt, sagt Heun. «Auf die Menschen eingehen können» – und auch einmal in der Lage sein, eine halbe Stunde neben jemandem zu sitzen und nichts zu sagen. «Die Stille auszuhalten ist das Schwierigste, weil man nicht agieren kann.» Dabei sei das Schweigen ziemlich effektiv: «Am meisten braucht man jemanden, der einfach nur da ist und Ruhe ausstrahlt, den Menschen stützt und ihn nicht drängt, irgendetwas zu machen.» Wenn die Trauernden dann aber aktiv werden, Kaffee anbieten oder anfangen, rumzurennen, ist das schlimmste geschafft. «Wenn sich jemand bewegt, wird er aktiv – geistig und körperlich – dann können wir langsam gehen.»
Sicherheit geben
Am Anfang habe er sich gefragt, ob er die Arbeit überhaupt machen könne, sagt Alois Heun. Inzwischen sei er sicher, dass er den Menschen helfen kann, ihnen in einer schlimmen Situation beistehen. «Wenn ich den Menschen so viel Sicherheit geben kann, dass sie den nächsten Tag überstehen, bin ich schon zufrieden.» Es gibt aber Situationen, in denen ihm das besonders schwer fällt: Wenn er zu Eltern gerufen wird, die ihr Kind durch den plötzlichen Kindstod verloren haben. «Was sagt man dann?» sbr

(Foto unten) Der schlimme Unfall bei Bad Camberg mit vier tödlich verunglückten Schülern forderte alle Einsatzkräfte – die Notfallseelsorge stand mit zehn ihrer Aktiven den Angehörigen der Opfer zur Seite. Foto: Heidersdorf
