
Hinweis: Verwendung der Artikel der Nassauischen Neuen Presse mit freundlicher Genehmigung der Frankfurter Societäts-Druckerei.
Ein Bauernhof in Dietkirchen brennt gestern um 0.30 Uhr lichterloh / Sechs Menschen sterben

Noch Stunden nach dem Löschen des verheerenden Brands liegt gestern Vormittag ein beißender Geruch in der Luft; vereinzelt qualmt es noch. Eine gespenstische Stille. Trotz der vielen Menschen, die sich am und im abgebrannten Haus am Ortsrand von Dietkirchen aufhalten. Erschöpfte Feuerwehrleute, Polizisten, die nach Spuren im Haus suchen, entsetzte Nachbarn.
Die Betroffenheit ist fast mit Händen greifbar – sechs Menschen sind tot. Sie sind Opfer des fürchterlichen Brands geworden. Noch weiß niemand, warum auf dem «Burghof» in Dietkirchen am Dienstag um kurz vor 0.30 Uhr ein Feuer ausgebrochen ist.
Das sind die Opfer: Paul-Josef Gotthardt (59) und seine Frau Maria (56), die in verschiedenen Räumen des ersten Stocks tot gefunden wurden. Ebenfalls tot sind ihre drei Kinder Nicole (35), Michael (33) und Regina (18), die nach Angaben der Polizei alle drei seit ihrer Geburt geistig und körperlich behindert waren. Nach Auskunft der Lebenshilfe Limburg sind sie von der Tagesförderstätte betreut worden. Außerdem kam der 48-jährige polnische Erntehelfer Augustin Albrecht ums Leben. Er hatte versucht, sich aus dem Dachgeschoss zu retten, stürzte aber ab und erlitt sehr schwere Kopfverletzungen, denen er im Krankenhaus erlag.
Rettung dank Efeuranke
Das sind die Überlebenden: Josef und Irmgard Gotthardt (beide 80), ein 56-jähriger Arbeiter, der nach Angaben der Polizei seit 35 Jahren auf dem Hof lebt und im Keller wohnt, und ein weiterer Erntehelfer, 34 Jahre alt, der im Dachgeschoss wohnte und sich mit Hilfe einer Efeuranke an der Hauswand retten konnte. Der Mann befand sich bis zum Nachmittag im Krankenhaus und ist wieder auf dem Hof.
Drei Mitglieder der Dietkircher Feuerwehr sitzen noch am Nachmittag im Hof vor dem ausgebrannten Wohngebäude des einzigen Vollerwerbslandwirtschaftsbetriebs in Dietkirchen. Der Schock vom nächtlichen Brand sitzt tief bei den drei Männern.
Nur wenige Meter entfernt kommt Josef Gotthardt aus dem nicht beschädigten Nachbargebäude und lässt sich mit hängenden Schultern zum Ort des Schreckens begleiten. Dort sind noch immer Beamte des Landeskriminalamts im Einsatz und betreiben Spurensicherung. «Ich war noch wach», so fährt es aus Josef Gotthardt heraus. Er habe plötzlich einen Knall gehört; es habe sich angehört, als wenn ein Schrank umgefallen sei. «Ruckzuck merkte ich, hier brennt es.» Er habe sich Wassereimer besorgt und nach dem dritten Eimer gemerkt, «hier ist nichts mehr zu machen».
Trauer und Verzweiflung
Nur wenige Stunden zuvor ist Gotthardt mit seiner im Rollstuhl sitzenden Ehefrau Irmgard aus dem Krankenhaus entlassen worden. «Ich habe mich gegen das Feuer gewehrt und versucht, die Kinder zu retten», sagt der Landwirt. Er wirkt tapfer, wenngleich seine Stimme nicht mehr so fest ist.
Die drei Feuerwehrleute kauern auf einer Bank, sinnieren über das Geschehen in der Nacht. «Kurz nach halb eins sind wir alarmiert worden. Als wir kamen, hat es schon lichterloh gebrannt», sagt einer von ihnen. Nur wenige Minuten später sei die Limburger Feuerwehr eingetroffen. Einer von ihnen hat noch mitbekommen, wie sich ein Mann aus dem Obergeschoss am Efeu auf den Hof gerettet habe. Ein anderer sei gesprungen. «Das war wohl sein Verhängnis», sagt Josef Gotthardt mit tiefstem Bedauern.
«Das alles ist ein Drama. Für was und wen habe ich das alles aufgebaut? Ich werde mein Vieh verkaufen und ich will meine Ruhe», ruft er verzweifelt. In seinen Augen stehen Tränen der Trauer und Verzweiflung. Ein fester Händedruck lässt zum Abschied noch viel Energie erahnen, die der Mann in seiner schwersten Stunde hoffentlich nicht verlieren wird.
Verzweifelt hatte Josef Gotthardt in der Brandnacht versucht, noch in das lichterloh brennende Haus zu gelangen, um seine Familie zu retten, musste aber von Feuerwehrleuten zurückgehalten werden, wie Stadtbrandinspektor Uwe Zimmermann der NNP sagte. «Das war die reine Verzweiflung. Er wäre in den Flammen umgekommen. Es war unmöglich, in das erste Obergeschoss zu gelangen, ohne zu verbrennen», sagte Zimmermann. «In solch einer Situation ist man machtlos. Das ist tragisch. So etwas habe ich als Feuerwehrmann noch nie erlebt – und ich bin schon seit 1975 dabei.»
Brandursache ungeklärt
Auch die Feuerwehrleute konnten wegen der gewaltigen Flammen nicht mehr ins Haus eindringen. Eine Rettung über die Leiter sei zwecklos gewesen, ergänzt Kreisbrandinspektor Georg Hauch. Er spricht von einer der größten Brandkatastrophen in der Geschichte des Landkreises. «Alle Einsatzkräfte haben alles gegeben. Jeder hat sein Möglichstes getan», sagte Hauch.
Im Einsatz waren die Feuerwehren aus Dietkirchen, Limburg, Offheim und Dehrn – insgesamt 60 Feuerwehrleute. Noch gegen Mittag mussten einzelne Glutnester gelöscht werden.
«Die Ermittlung der Brandursache kann Tage und Wochen dauern», sagt Polizeisprecher Bruno Reuscher. «Jetzt beginnt eine akribische Kleinarbeit in alle Richtungen.»
Nach derzeitigem Ermittlungsstand gebe es allerdings keine Anhaltspunkte für eine Brandstiftung. Weder eine technische Ursache, wie ein Kurzschluss, noch ein fahrlässiges Verhalten könnten ausgeschlossen werden.
«Es ist kaum zu begreifen»
Nach dem Brand: Menschen in Dietkirchen ringen um FassungTrauer und Entsetzen: Ein Feuerwehrmann versucht, mit dem klarzukommen, was er bei dem Feuer auf dem Hof von Josef Gotthardt erlebt hat. Trauer und Entsetzen: Ein Feuerwehrmann versucht, mit dem klarzukommen, was er bei dem Feuer auf dem Hof von Josef Gotthardt erlebt hat.
Ungezählte Fachleute von Feuerwehr und Polizei, jede Menge Schaulustige: Am Tag nach dem Feuer versuchen auf dem Hof der Gotthardts viele Menschen, das Geschehen zu verarbeiten.
Limburg-Dietkirchen. Verwaiste Plätze, kaum eine Menschenseele auf der Straße in Dietkirchen, aber auf dem Hof der Gotthardts ist jede Menge los. Und den meisten Leuten steht der Schock ins Gesicht geschrieben. Wer die Menschen auf das verheerende Unglück in der Nacht anspricht, spürt große Trauer und Fassungslosigkeit.
Schlimmer Schock
Auch Hubert Schäfer aus Dehrn ist schockiert. «Am Tag vorher bin ich noch Gotthardt senior beim Frucht weg fahren begegnet und wenig später passiert so etwas, ich kann es einfach nicht fassen», sagt der 80-Jährige. Er ist nach Dietkirchen gekommen, um seinem Sohn auf dem Feld zu helfen. «Ich dachte mir schon, dass etwas Schlimmes passiert sein muss, da seit langer Zeit mal wieder die Sirene im Ort zur Alarmierung der Feuerwehr losging.» Er habe dann nach draußen geschaut, aber nichts erkennen können. Sein Sohn sei aber im Einsatz gewesen und als der ihm dann am Morgen erzählte, was passiert war, habe er es nicht fassen können. «Ich musste mich erstmal eine Weile im Stall hinsetzen und das ganze begreifen. Einfach ein schlimmer Schock.»
Auch in der unmittelbaren Nachtbarschaft der Gotthardts ist die Bestürzung groß: «Einfach unfassbar. Solch ein unendliches Leid. Wir konnten heute kaum etwas arbeiten, da wir in engem Kontakt mit der Familie stehen. Es will einfach nicht in unsere Köpfe rein, was dort drüben auf dem Hof heute Nacht passiert ist», erzählen die sichtlich geschockten Mitarbeiter der Spedition Fehr, die an den Hof der Familie Gotthardt angrenzt.
Auch am Ort des Geschehens herrscht Bestürzung. So verrät eine Frau, die fassungslos an der Polizeiabsperrung steht und sich das Ausmaß des Unglücks betrachtet: «Als ich das heute morgen im Radio gehört habe, musste ich erstmal schlucken. Unbegreiflich das Ganze.» Maria Gotthardt habe ihr immer die Milch vorbei gebracht. «Sie war eine liebe und fürsorgliche Frau, die ihre Kinder über alles liebte. Jetzt soll sie tot sein?» Auch Georgiadis Georgius, der Pächter der Kneipe «Römer-Stübchen», sagt, er sei fassungslos: Er habe die Familie Gotthardt zwar nicht persönlich gekannt. «Aber trotz allem fühlt man mit, und es betrifft einen sehr. Heute ist man und morgen dann nicht mehr.» Solch ein grausames Unglück zeige, wie wichtig es sei, andere Menschen immer zu achten.
Stadtrat
Auch Limburgs Bürgermeister Martin Richard zeigt sich erschüttert von der Dietkircher Brandkatastrophe. «Das ist unglaublich und schockierend, dass eine ganze Familie ausgelöscht wurde», sagt er. Martin Richard hatte sich um kurz nach 5.30 Uhr in Dietkirchen eingefunden, um sich selbst ein Bild von der Katastrophe zu machen. «Jeder hat die beliebte Familie gekannt, und vor allem Josef Gotthardt hat sich um die Stadt Limburg als Mitglied des Magistrats verdient gemacht», sagt Richard. Josef Gotthardt (80) war ehrenamtlicher Stadtrat, Ortslandwirt und lange Jahre Vorsitzender des Sportanglervereins Limburg.
Hilfe für die Helfer und die Angehörigen

Erst einmal könne man nur zuhören, «einfach nur zuhören, was die Menschen sagen», sagt Hedi Sehr, die Vorsitzende der Notfallseelsorge Limburg-Weilburg. Fünf Mitglieder des Vereins waren in der Nacht zu dem Brand gerufen worden, um den Überlebenden und den Helfern dabei zu helfen, mit ihren Erlebnissen klarzukommen, mit dem Schrecklichen, das sie gesehen und gehört hatten.
Zuerst hätten sie und ihre Kollegen sich um Josef und Irmgard Gotthardt gekümmert. «Wir mussten versuchen, sie einigermaßen zu beruhigen», sagt Hedi Sehr. Und das noch auf dem Hof, denn die beiden Senioren wollten sich nicht wegbringen lassen. «Sie wollten zugucken, was da passiert.» Schließlich ging es um ihren Hof, um ihre Familie.
Aber nicht nur die Angehörigen der Opfer brauchen Hilfe in der Seelen-Not: Auch die Feuerwehrleute müssen mit dem Schrecken umgehen. «So eine Situation ist nicht leicht zu verkraften», sagt Hedi Sehr. Für die meisten Beteiligten laufe so ein Einsatz wie ein Film ab. Aber einer, von dem man hoffe, dass er bald zu Ende ist. «Und wenn man die Opfer kennt, ist das noch einmal eine ganz andere Geschichte.»
Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb seien in der Nacht viele Menschen gekommen, um zu helfen oder um einfach da zu sein. «Das fand ich sehr positiv.»
Das Ehepaar Gotthardt ist bereits wieder zu Hause, Familienmitglieder kümmern sich jetzt um die beiden. Irmgard und Josef Gotthardt stehen noch unter Schock und Beruhigungsmitteln, sagt Hedi Sehr. Sie sei aber überrascht gewesen, dass die beiden doch «relativ gefasst» waren. Genau wie der eine Erntearbeiter, den die Notfallseelsorger gestern im Krankenhaus besucht haben. «Der Mann hatte noch gar nicht so realisiert, was passiert ist», sagt Hedi Sehr. Sie sei sehr froh, dass sie die Familie Gotthardt nicht kannte. «Das ist gut in so einem Fall.»
Auf alle Fälle sei der Einsatz der Notfallseelsorger in diesem Fall noch lange nicht beendet. «Wir werden weiter hören, was die Menschen zu sagen haben.» sbr sbr
Anmerkung KFV: In unserer Rubrik Aktuelles finden Sie weitere Berichte von diesem schrecklichen Ereignis.