Mittelhessen.deLimburg. Ein solches Strafverfahren war ein Novum für die Limburger Justiz. Eine Patientin hatte einen Einsatzleiter des Katastrophen- und Rettungsdienstes in Limburg wegen unterlassener Hilfeleistung angezeigt ...

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Patientin stellt Anzeige / Novum für Limburger Justiz

Er hatte es abgelehnt, ihr einen Notarzt bzw. einen Rettungswagen zu schicken, den sie in ihrer besonderen Situation erwartet hätte. Das Amtsgericht stellte das Verfahren gegen eine Geldbuße von 300 Euro ein.

Bild: Die alte Rettungsleitstelle in der Limburger Ste.-Foy-Straße: Hier waren die Rettungsdienstler über Jahre gefordert in Notsituationen die richtige Entscheidung zu treffen. Mit dem Neubau ist die Zentrale in den Schlenkert umgezogen. (Foto: Röndigs) | mittelhessen.deBild: Die alte Rettungsleitstelle in der Limburger Ste.-Foy-Straße: Hier waren die Rettungsdienstler über Jahre gefordert in Notsituationen die richtige Entscheidung zu treffen. Mit dem Neubau ist die Zentrale in den Schlenkert umgezogen. (Foto: Röndigs) | mittelhessen.de

Der Amtsrichter konnte bei dem Angeklagten kein Verschulden feststellen, das zu bestrafen gewesen wäre. Der 46-jährige Angeklagte aus dem Rhein-Lahn-Kreis war Mitte Februar wegen dieses Vorfalls mit einem Strafbefehl zu 30 Tagessätzen à 15 Euro verurteilt worden. Dagegen hatte er Einspruch eingelegt. Er ist der felsenfesten Überzeugung: "Ich habe alles richtig gemacht." Zudem hätte eine Verurteilung dienstrechtliche Konsequenzen für ihn gehabt, wie er am Rande der Verhandlung verlauten ließ.

Kribbeln im linken Arm und Sehstörungen - ist das der dritte Schlaganfall?

Der Fall: Eine Frau aus einem Ortsteil von Hünstetten hatte am 7. Juni vorigen Jahres gegen 16.30 Uhr ein Kribbeln im linken Arm und Bein verspürt, Sehstörungen am Auge und eine dicke Zunge. "Da ich schon zwei Schlaganfälle hatte, bekam ich es bei diesen Symptomen mit der Angst zu tun", berichtete die 37-jährige Hausfrau, die mit ihrer zweijährigen Tochter allein zu Hause war.

Sie rief eine Bekannte an, die Arzthelferin ist. Die 58-Jährige sagte als Zeugin vor Gericht: "Für mich waren das typische Anzeichen für einen Schlaganfall" - und meinte: "Man muss in zwei Stunden Hilfe haben, ohne dass Schäden eintreten."

Zwei Tage zuvor habe sie noch in der Zeitung gelesen, dass man im Notfall - hier ging es um die Anzeichen eines Herzinfarkts - nicht zögern und sofort 112 wählen solle.

Inzwischen war es 17.16 Uhr, als sich die gelernte Arzthelferin fragte: "Wo will man denn jetzt zum Hausarzt gehen?" Sie rief die bekannte Notrufnummer an und übergab der Patientin den Hörer, die dem Mann auf der Leitstelle mitteilte: "Das Problem ist, mir schläft dauernd der linke Arm und das linke Bein ein. Ich habe schon zwei Schlaganfälle hinter mir und habe gerade ein bisschen Panik."

Der Limburger Einsatz-Sachbearbeiter antwortete: "Haben sie schon mal ihren Hausarzt angerufen?" - Die Frau: "Nein, bis jetzt noch nicht." - Antwort Leitstelle: "Das ist eine Sache für den Hausarzt. Einen ärztlichen Notdienst in der Woche gibt es hier nicht."

Dann war das Gespräch (alle Telefonate mit der Leitstelle werden aufgezeichnet) beendet. Unterdessen war der Ehemann der 37-Jährigen heimgekehrt und konnte sich um das Kind kümmern, so dass die Arzthelferin die Patientin auf dem schnellsten Weg in das Krankenhaus Idstein brachte.

Die dortige Oberärztin entschied, sie mit dem Rettungswagen und Blaulicht in die Horst-Schmidt-Klinik nach Wiesbaden zu verlegen. Die dortige Assistenzärztin konnte sich vor Gericht nicht mehr an den Fall erinnern, wohl aber ihren Aufzeichnungen entnehmen, dass ihr erster Verdacht "eine komplizierte Migräne mit neurologischen Ausfallerscheinungen" war.

"Das können auch Nerven vom Rückenmark sein. Man wird sich nicht sicher festlegen können. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass solche Symptome auch die Vorboten eines Schlaganfalls sind", führte sie aus. Die betroffene Patientin sagte: "Es waren die gleichen Symptome wie bei meinen beiden vorangegangenen Schlaganfällen. Jeder sage, bei ersten Symptomen müsse sogleich der Notarzt gerufen werden. "Wenn ich jemandem sage, ich hatte schon zwei Schlaganfälle, hätte ich erwartet, dass es Klick macht. Ich fühlte mich überfordert."

Der Angeklagte und sein Verteidiger verwiesen auf den Rettungsdienstplan mit Leitlinien für das Handeln der Einsatzsachbearbeiter. Der Plan sei nicht nach Diagnosen untergliedert, vielmehr müsse nach Sachverhalten geurteilt werden, die von Betroffenen mitgeteilt würden. Nach den geschilderten Symptomen hätte es sich um ein internistisches, chirurgisches, neurologisches oder orthopädisches Problem handeln können.

Der Verteidiger: "Mein Mandant ist erfahren und hat schon viele Menschenleben gerettet. Nur, wenn in solchen Fällen jedes Mal ein Rettungswagen losgeschickt würde, wären die wenigen Fahrzeuge ständig unterwegs und für ganz schlimme Fälle nicht mehr verfügbar."

Der Angeklagte, der seit zwölf Jahren anstandslos seinen Dienst erledigt, im Rettungsdienst wie auch als Feuerwehrmann ausgebildet ist, sagte: "Ich habe die Symptomatik erkannt. Natürlich ist ein Schlaganfall zu versorgen, wenn ein akutes Kreislaufversagen eintritt. Der Notarzt ist bei akuter Lebensgefahr zuständig. In diesem Fall war die Patientin bei Bewusstsein."

"Es kommt nicht darauf an, was sich hinterher herausgestellt hat. Als sie sich meldete, lag bei der geschilderten Symptomatik ein dringender Verdacht auf Schlaganfall vor und es musste gehandelt werden. Denn es zählt jede Minute. Der Rettungswagen hätte so schnell wie möglich losgeschickt werden müssen", sagte Professor Manfred Risse, Facharzt für Rechtsmedizin an der Uniklinik Gießen, den das Gericht als Sachverständigen mit der Beurteilung des Falles beauftragt hatte.

Über die 37-jährige Frau sagte Risse: "Sie ist eine Risikopatientin, sie muss den sicheren Weg gehen, auch wenn sich später etwas anderes herausstellen sollte." Als der Verteidiger den Facharzt auf die Indikationsliste der neurologischen Leitlinien und die Dienstanweisung des hessischen Sozialministeriums ansprach, räumte der Professor ein, dass nach den am Telefon geschilderten Symptomen keine akute Gefahr für die Gesundheit bestanden habe und wies auf die nun juristische Bewertung des Falles hin.

Gutachter: Risikopatientin muss sicheren Weg gehen, auch wenn nichts ist

Richter Karlheinz Schmidt sagte, man mache dem Angeklagten den Vorwurf sicherlich zu Recht, aber der bisher unbescholtene Mann sei dafür nicht zu bestrafen, da es sich nicht um ein Kriminaldelikt handele. Dies müsse zugleich ein Appell und eine Mahnung nach außen sein. Bei jedem, der ständig Entscheidungen über den Umgang mit den wenigen zur Verfügung stehenden Ressourcen treffen müsse, könnten Fehler vorkommen.

Dem Vorschlag des Richters, das Verfahren gegen eine Geldbuße von 300 Euro an die Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe einzustellen, stimmten die Beteiligten zu.

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Georg Hauch (Foto: Archiv) | mittelhessen.deBild: Georg Hauch (Foto: Archiv) | mittelhessen.de

28 000 Rettungsdiensteinsätze Der für die Einsatzleitstelle zuständige Leiter des Brand-, Zivil- und Katastrophenschutzes beim Kreis Limburg-Weilburg, Georg Hauch, aus Weilburg verfolgte mit den Kollegen des Angeklagten den Prozess. In einem Gespräch mit dem TAGEBLATT sagte Hauch, im vergangenen Jahr habe die Leitstelle 28 000 Rettungsdiensteinsätze veranlasst. Hinzu komme eine Vielzahl von Telefonaten, Feuerwehreinsätze und Funkverkehre. Binnen einer Minute müsse der Einsatzsachbearbeiter eine Entscheidung treffen. Freilich müsse alles korrekt ablaufen, aber je nachdem, wie das Ende einer solchen Gerichtsverhandlung aussehe, stelle sich die Frage, wer einen solchen Beruf noch ausüben wolle. Andererseits würden es noch mehr Rettungseinsätze werden. Dieser Prozess gebe Anlass für eine Aufarbeitung der Problematik mit den Beteiligten. (flu)


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Dokument erstellt am 22.07.2011 um 18:59:12 Uhr

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